Geburtserlebnis von Eva

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Als mir meine Frauenärztin in der 7. Schwangerschaftswoche den gutgemeinten Tipp gab: „Übrigens, wenn Sie eine individuelle Hebammenbetreuung für die Geburt wollen, sollten Sie sich am besten sofort eine Beleghebamme suchen…“, fiel ich aus allen Wolken. Da war ich gerade mal mit dem Frisch-Schwanger-Sein beschäftigt, das Kind kaum in Zentimetern zu messen und mein Bauch passte noch in jede Jeans – und schon sollte ich mich darum kümmern, wie und mit wessen Hilfe unser Kind in noch endlos erscheinender Zeit zur Welt kommen sollte?

Das Thema „Krankenhaus“ war für mich von je her ein rotes Tuch, so dass ich mit meinen Gedanken recht schnell bei möglichen Entbindungs-Alternativen war. In meiner Suche nach Orientierung rief ich beim Hebammennetzwerk an, wo sich am anderen Ende der Leitung Nitya meldete. Dies sollte sich als großer Glückstreffer herausstellen! Bereits bei diesem ersten Kontakt bestärkte sie mich in meiner Tendenz: Schon damals hatte ich die Ahnung, dass ich für eine gute Geburt vor allem eine vertraute und ungestörte Atmosphäre brauche. Mein Grundgefühl war, dass ich – wenn man mich nur lässt – genug eigene Kraft in mir entwickeln würde, mein Kind gesund auf die Welt zu bringen.

So galt meine Suche nach dem richtigen Entbindungsort in erster Linie der Ausschaltung von möglichen Störeinflüssen, Entmündigungen und Bevormundungen. In einem persönlichen Gespräch mit Nitya entstand dann das Szenario „Hausgeburt“, an das ich zwar bis dahin nicht gedacht hatte, das mich und meinen Mann Bert aber sofort begeisterte. Zuhause, in vertrauter Atmosphäre, mit der Unterstützung von Menschen, die ich kenne gebären zu können, war genau das, was ich mir gewünscht hatte. Auch die ‚Chemie’ zwischen Nitya und mir stimmte sofort, so dass ich sicher war, in ihr die Person gefunden zu haben, die mich auf diesem Weg stärken und auch fachlich kompetent begleiten würde.Genauso habe ich die von da an stattfindenden Treffen mit Nitya während meiner Schwangerschaft dann auch erlebt: Nach jedem Kontakt fühlte ich mich durch ihre gelassene Zuversicht bestärkt, wuchs mein Vertrauen darin, für mich und das wachsende Leben in mir die richtigen Entscheidungen fällen und meiner Intuition vertrauen zu können. Abgesehen von drei Ultraschalluntersuchungen habe ich daher auch die gesamte Vorsorge bei Nitya gemacht, denn die Schwangerschaft verlief absolut komplikationslos. Stolz auf den wachsenden Bauch habe ich so die neun Monate durchweg genießen können. Im Januar nahmen Bert und ich außerdem gemeinsam am Aqua-Balancing-Kurs unter Nityas Leitung teil. Dies war besonders wertvoll, um auch den Kontakt zwischen Bert und Nitya zu intensivieren; bei uns als Paar haben die intensiven Erlebnisse im Wasser damals vieles aufgewühlt und uns sehr ‚aufgeweicht’ für intensive Auseinandersetzungen rund um’s Eltern-Werden.

Vier Wochen vor dem errechneten Termin wurde ich zur Verkürzung der Eröffnungsphase zusätzlich von Nitya akkupunktiert – in dieser Zeit war immer viel Raum für Fragen rund um die nahende Geburt. Leider verabschiedete sich Nitya jedes Mal augenzwinkernd mit der gleichen Prognose: „Dir geht’s noch viel zu gut, du kriegst dein Kind noch nicht, das braucht noch…“, was man natürlich als ungeduldige Hochschwangere in brütender 30°C-Hitze nicht wirklich gerne hört.

So kam es dann auch, dass sich unser Sohn Henri noch eine Woche länger als erwartet Zeit ließ. Erste Überlegungen von Nitya, es bei noch längerer Übertragung bald mal mit einem Rizinuscocktail zu versuchen, scheinen ihn angespornt zu haben, so dass er sich dann am 4. Juni nachts um halb zwei mit einem Blasensprung von selber auf den Weg macht: Ich erwache in einer Fruchtwasserpfütze. Aufgeregt und unendlich erleichtert verkünde ich Bert mit einem Strahlen, dass es jetzt nun wohl losgehen werde. Meine Bemerkung, er könne aber ruhig noch ein wenig schlafen, setzt er sofort gelassen in die Tat um. Mir gelingt dies leider nicht mehr. Die gegen drei Uhr einsetzenden ersten leichten Wehen würden zwar ein Nickerchen noch erlauben, ich bin jedoch zu aufgeregt, um wirklich Schlaf finden zu können. Wunderbar entlastend finde ich in dem Moment, nirgendwohin aufbrechen zu müssen, sondern in Ruhe zu Hause abwarten zu können, wie sich die Geburt entwickelt – keine Hektik, keine Autofahrt, keine fremden Gesichter. Alles was ich zu tun habe ist, mich auf das Kommende einzulassen…Als die Wehen in den frühen Morgenstunden regelmäßig in Fünf-Minuten-Abständen kommen, rufen wir Nitya an. Prompt werden wir vom ‚Vorführeffekt’ überrumpelt: kaum Wehentätigkeit während des Telefonates. Nitya schlägt vor, erst noch mal einen ausgiebigen Spaziergang durch Sülz zu machen, um die Wehen zu locken und will gegen halb 10 dann bei uns vorbeischauen. Dieser Spaziergang muss auf Beobachter sicher etwas skurril wirken: Eine wild watschelnde Hochschwangere, die sich alle paar Minuten tief atmend an den Partner hängt und in der übrigen Zeit überprüft, ob sie vielleicht Leck schlägt (unglaublich, wie viel Fruchtwasser aus einem herauslaufen kann!) – uns und der Wehentätigkeit tut es jedenfalls gut. Als Nitya zur vereinbarten Zeit eintrifft, sind die Wehen stärker geworden und nicht mehr so einfach ‚wegzuhexen’. Das CTG zeigt, dass es dem Baby nach wie vor gut geht. Ich habe das Gefühl, dass die Geburt gut anläuft und bin damit beschäftigt auszuprobieren, in welcher Position ich die Wehen am leichtesten veratmen kann: aufrecht bzw. im Gehen durch unsere Wohnung fällt es mir wesentlich leichter als im Liegen. Nach einem kurzen Blick durch unser Schlafzimmer stellt Nitya fest, dass sie dort dringend eine Ablage braucht, auf der sie das Kind nach der Geburt untersuchen und versorgen kann; unsere im Kinderzimmer aufgebaute Wickelkommode lässt sie nicht gelten – zu weit weg. So kommt es, dass sich Bert während meiner Wehen noch als Möbelpacker betätigen darf und unseren Schreibtisch kurzerhand ins Schlafzimmer hievt. Bis dann alle für die Hausgeburt vorbereiteten und rausgelegten Utensilien endlich an Ort und Stelle sind, bin ich doch etwas genervt und froh, als diese organisatorische Hektik zu Ende ist.Da abzusehen ist, dass die Geburt noch dauern wird und der Muttermund zwar weich, aber erst zwei cm geöffnet ist, verabschiedet sich Nitya noch einmal, um andere Hausbesuche zu machen, will aber um 13 Uhr zurück sein. Die Stunden vergehen wie im Flug und dank der guten Unterstützung von Bert, der mich immer wieder auffordert, tief in den Bauch zu atmen, seine Hand auf meinen Bauch hält und als zuversichtlicher Kraftspender an meiner Seite ist, kann ich die Wehen auch gut ertragen. Gerade die Unterbrechung der Wehen durch die Wehenpausen empfinde ich als sehr entlastend: so kann ich mich immer darauf verlassen, dass die Wehe irgendwann aufhört, ich mich entspannen und neue Kräfte sammeln kann.

Außerdem will ich endlich in die Tat umsetzen, was ich mir bei dem Gedanken an meine Entbindung oft vorgestellt habe: in die Badewanne steigen! Bereits während der Schwangerschaft habe ich – nicht zuletzt durch das Aquabalancing – Wasser als sehr entspannend und lockernd erlebt und sehne mich nun unter der Geburt auch nach diesem Effekt. Als Nitya wieder da ist und mir am frühen Nachmittag gegen halb drei nach einem weiteren guten CTG das OK gibt, in die Wanne zu steigen, bin ich sehr erleichtert, denn allmählich finde ich die Wehen doch sehr heftig. Viel schlimmer, so finde ich, dürfte es jetzt nicht mehr werden….

Der Ausflug in die Badewanne erweist sich dafür als gutes Gegenmittel: die Intensität der Wehen nimmt zwar noch zu, insgesamt empfinde ich sie jedoch runder und weniger aggressiv.

Von diesem Zeitpunkt bis zur Geburt von Henri dauert es noch gut 2,5 Stunden – wie sie verstrichen sind, weiß ich heute nicht mehr, ich war wie im Tunnel und habe kaum etwas wahrgenommen. Erinnern kann ich mich nur noch an einzelne Blitzlichter: Nityas zuversichtliches, ruhiges Gesicht jenseits des Wannenrands, einzelne sehr schmerzhafte Wehen in der Übergangsphase, und irgendwann die erlösende Botschaft: jetzt darfst du pressen! Ich bin erleichtert: endlich kann ich aktiv etwas tun, um mein Baby auf die Welt zu bringen! Nitya macht mir den Vorschlag, mich zu hocken: schon sind die Schmerzen erträglicher als vorher, zumal Nitya mir durch sanften Druck mit den Fingern zeigt, wo ich hinpressen soll und der eifrig mitfiebernde Bert mir immer wieder kraftvolle und ermutigende Blicke schenkt. Als Nitya ihn dann schickt, um Handtücher vorzuwärmen, wird uns beiden auf einmal klar, dass es bald so weit ist. Ich kann genau spüren wie sich der kleine Kopf Stückchen für Stückchen ans Licht arbeitet, mit jeder Wehe ein bisschen mehr, in den Pausen wieder etwas zurück, wie um zu verschnaufen und erneut Anlauf zu nehmen… Wie nahe Henri unserer Welt schon ist, kann ich fühlen als Nitya mich auffordert, mit den Fingern nach dem Köpfchen zu tasten. Ein einmaliges Gefühl, das mir Kraft für den Endspurt gibt! „Press, Eva, du hast genug Platz!“, feuert Nitya mich gegen kurz vor fünf Uhr an, „Das Köpfchen ist schon zu sehen!“ In diesem Moment bleibt mir nur noch eines: vertrauen. Vertrauen darauf, dass Nitya Recht hat und das Baby durchpasst, dass ich mich weiten und es durchlassen kann. Und so vertraue ich…gebe mich hin…presse…. erschaudere, denn ich spüre: mit dieser Wehe wird es ernst…gehe noch ein Stück weiter als vorher…und dann: ein großer Druck, ein schneidendes Brennen, das Köpfchen ist draußen, der Rest gleitet fast unmerklich hinterher.

Mitten auf dem Höhepunkt der Enge und Dramatik mit einem Mal Stille. Schmerzfreie Weite. Geöffnet und bereit für das Wunder, das in diesem Moment aus dem Wasser in meine Arme gleitet: Henri ist geboren. Die Welt hält den Atem an, wir vier sind gefangen im Zauber dieses heiligen Moments.

„Ich bin da“ verkündet Henri mit einem kurzen Schrei, um mich gleich darauf zum ersten Mal mit großen Kulleraugen anzublicken. Die friedliche Ruhe und Achtsamkeit, die uns in diesem Moment umhüllt, bleibt.

Sie bleibt, während wir als kleine Karavane vom Bad ins Schlafzimmer wandern, sie bleibt während Henris erster Trinkversuche an meiner Brust. Sie bleibt in meiner Freude darüber, unverletzt geblieben zu sein, bleibt, als Bert die auspulsierte Nabelschnur durchschneidet und Nitya unseren Sohn behutsam untersucht und misst.

Sie umhüllt unser Glück in dieser ersten Nacht zu dritt und ist geblieben bis heute. Die Geburt in einer so friedlichen, achtsamen und intimen Atmosphäre erlebt zu haben, ist eine wundervolle Erfahrung für Bert und mich. Für Henri ist sie der beste Start ins Leben, den wir ihm wünschen können.

Eva, Bert und Henri