Geburtserlebnis von Annabelle

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In der Nacht auf den 16. Juni schlafe ich fast nicht. Schließlich ist das d e r Tag, an dem mein Baby auf die Welt kommen soll – laut errechnetem Termin. Doch das kleine Mädchen boxt energisch von innen, und denkt noch gar nicht daran herauszukommen.

Eine Woche vergeht…. Ich befolge den Rat meiner Hebamme Nitya, ganz ruhig zu bleiben, schöne Dinge zu unternehmen. So genießen mein Mann Karsten und ich den Babyurlaub ohne Baby: Picknick am Rhein in Köln, Waldspaziergang, Kino, lecker Essen. Mein Appetit ist gut, meinen Bauch trage ich vor mir her, wie ein buntes Osterei. Nitya setzt mir Akupunkturnadeln zur Vorbereitung auf die Geburt. Meine Frauenärztin sagt, sieht alles gut aus: Kind, Herztöne, Plazenta: „Am Montag gehen sie aber ins Krankenhaus, lassen die Wehen einleiten und eine PDA setzen. Das Kind muss raus.“

Am Montag will das Kind immer noch nicht raus, und ich nicht ins Krankenhaus. Wenn alles gut aussieht, wollen wir unser Kindchen zuhause auf die Welt bringen. Nitya sagt, es sieht alles gut aus. Morgen soll ich mit einem Rizinustrunk die Sache in Schwung bringen. Karsten mixt begeistert Rizinusöl, Aprikosensaft, Sahne und Schnaps und verabreicht mir diesen unvergleichlichen Cocktail mit einem unverschämt breiten Grinsen im Gesicht. Es holpert und poltert in meinem Körper, doch von Wehen kann keine Rede sein. Am Abend bin ich topfit und völlig verunsichert. Wie geht Geburt überhaupt? Kann ich das? Will ich das? Warum geht es nicht los? Ist vielleicht die Fruchtblase schon geplatzt, und ich habe nur nichts gemerkt? Ist es nicht riskant noch zu warten?

Am nächsten Tag besuche ich einen Arzt, den Nitya mir empfohlen hat. Dr. Müller beruhigt mich. Wir gehen in den Stadtgarten und in die Spätvorstellung im Rex. In meinem Bauch beginnt es zu rumpeln. Ich esse Colafläschchen und freue mich in mich hinein. Es rumpelt die ganze Nacht. Am Morgen besorgt Karsten wieder Rizinusöl aus der Apotheke und verpasst mir – nach Anleitung von Nitya – weitere „Cocktails“. (Anmerkung unserer Hebamme: Rationierte Rizinusölgabe, bitte keine selbstständigen Eigenversuche!) Er meint, wir sollen die Brise nutzen. Um 13 Uhr habe ich erstmals regelmäßige Wehen. Wir sind entzückt. Nitya kommt vorbei, lobt das was bisher geschah. Allerdings: „Die Wehen sind noch nicht regelmäßig und gleichermaßen intensiv. Der Muttermund ist 1-2 cm geöffnet und es kann vielleicht schon auch noch bis in die Nacht oder in den frühen Morgen dauern.“

Uff! Karsten geht erst einmal einkaufen. Ich verziehe mich in mein Bettchen und stelle mich auf Standby. Unter der Decke tue ich, als ob ich gar nicht da wäre. Karsten kommt zurück, kocht sich was, fragt, ob ich hungrig sei… Ich ächze mal lauter, mal leiser vor mich hin und versuche irgendwie diese verflixten Wehen irgendwo nach unten zu atmen. Manchmal hüpfe ich auch mitten in der Wehe aus dem Bett, lande auf dem Boden und krabble da so vor mich hin. Gut, dass mich keiner sieht. Karsten linst besorgt um die Ecke. Gegen 17 Uhr meldet sich Nitya und fragt, wie es denn gehe. Karsten berichtet ihr, dass ich ganz schön rackern würde. Die Schmerzen werden immer doller, und ich habe das Gefühl, dass mich die Wehen schon richtig mitnehmen. Als Nitya in der Tür steht, sage ich ihr, dass ich aussteige. Sie lächelt, hilft mir eine Wehe zu veratmen und meint, dass jetzt genau das geschehe, worauf wir so lange und sehnsüchtig gewartet hätten. Sie untersucht mich und ist erstaunt, dass das Köpfchen schon so tief sitzt, obwohl der Muttermund erst ein Drittel geöffnet ist.

Jetzt geht alles sehr schnell. Nitya holt noch diverse Utensilien. Karsten soll Handtücher in den Backofen packen. Er bezieht unser Bett, holt einen Tisch ins Schlafzimmer und kocht Wasser für eine Wärmflasche. Ich lege mich auf mein Bett. Ich friere, obwohl ich meinen dicksten Pullover an habe. Karsten kniet links von mir und ich bin völlig konzentriert, habe die Augen zu und denke: „So, jetzt hängt es an mir! Nichts wie raus mit der Kleinen!“ Ab ca. 19 Uhr packt mich eine Wehe nach der anderen. Danach schlottere ich, wie Espenlaub. Nitya bittet mich, auf der Seite zu liegen. Karsten hält mein rechtes Bein. Ich versuche mich zwischen den Wehen zu entspannen, ganz locker zu lassen, mich an einen anderen Ort zu träumen und Kraft zu schöpfen. Am Ende der Wehe drücke ich hinterher, so gut ich kann. Nitya öffnet die Fruchtblase und feuert mich an: „Gut machst Du das! Da ist das Köpfchen.“ Einige intensive Minuten später um 19:28 liegt das kleine Wesen da, zwischen meinen Beinen. Sie hat ganz viele schwarze lange Härchen und ist ganz klein. Nitya bittet mich den Pullover auszuziehen, und legt sie mir aufs Herz, an meine linke Brust. Es ist ein heiliger Moment. Die Zeit steht still. Alle Angst, alle Sorge, alle Ungeduld lösen sich auf. Meine Tochter blickt mich an, ganz wach und interessiert. Ihr Köpfchen wackelt hin und her. Sie ist ganz präsent und guckt, als wolle sie sagen: „Du bist das also!“ Sie trinkt solange, bis die Nabelschnur auspulsiert ist, dann übernimmt Karsten seine kleine Tochter. Er schneidet die Nabelschnur durch und wärmt das kleine Mädchen andächtig auf seiner Brust. Wir sind überglücklich. Unser Bett hebt ab, und wir fliegen. Zeugen des Lebens bei uns zuhause. Dafür sind wir Nitya sehr dankbar.